Liebe ist, wenn’s passt? Online Dating und die Ideologie des perfect match

„Liebe ist, wenn’s passt!“ – mit diesem Slogan wirbt die Online Partnervermittlungsagentur Parship schon seit längerem für Ihre Dienste. Aber auch andere Anbieter verkünden gerne und häufig, dass erst eine optimale Passung der Persönlichkeit der Partnerinnen und Partner eine langfristig glückliche und erfüllte Beziehung garantieren könne. Und das Internet soll genau diese Passung optimieren – durch die Kombination aus einer schier unerschöpflichen Auswahl mit einer höchst zielgenauen Suche.

In der Praxis erfüllt sich dieses Heilsversprechen des Online Dating allerdings oft nicht – wie mir in zahlreichen Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern immer wieder berichtet wird. Obwohl alle Daten passen, alle Persönlichkeitseigenschaften auf Kompatibilität geprüft und alle ‚no-goes‘ des Beziehungsalltags sorgfältig ausgeschlossen wurden, springt der Funke einfach nicht über. Man harmoniert zwar irgendwie und versteht sich gut, aber Liebe wird trotzdem nicht daraus.

Nun könnte es natürlich sein, dass die Matchingverfahren im Internet schlicht noch nicht ausgereift genug sind, dass man noch mehr Persönlichkeitseigenschaften vergleichen müsste, noch exaktere Daten erheben, noch feiner filtern… Aber vielleicht sollten diese Erfahrungen ja auch Anlass geben, die Ideologie der Passung einmal grundsätzlicher zu hinterfragen.

Gestatten: Mr./Mrs. Right

Tatsächlich ist diese Ideologie nicht ganz neu. Wir kennen den Topos des ‚einzig Richtigen‘ oder der ‚füreinander bestimmten Seelen‘ etwa aus der romantischen Literatur, aus unzähligen Filmen, Liebesliedern usw. Auch hier geht es um eine Art von Passung. Nur ist es in der klassischen Erzählung eben das Schicksal, das die Personen zusammenführt, und nicht ein Computeralgorithmus, der Daten aggregiert, vergleicht und daraus den perfekten Match berechnet. Nun wissen wir alle, dass das Schicksal höchst unzuverlässig sein kann. Warum also nicht mit modernen Technologien etwas nachhelfen?

Ich will hier den romantischen Glauben an die Schicksalshaftigkeit der Liebe nicht allzu sehr verteidigen. Aber an einem Punkt lässt sich daraus vielleicht doch etwas Wichtiges lernen: In der Idee der Schicksalshaftigkeit kommt u.a. auch die Erfahrung zum Ausdruck, dass die Liebe manchmal gerade dorthin fällt, wo man es am wenigsten erwartet. Eine neue Liebe ist oft überraschend, unerwartet und kann das eigene Weltbild sehr grundlegend verändern. Dagegen wird eine Person, die ich durch rationale Suchstrategien und Matchingverfahren finde, bestenfalls genau meinen vorab definierten Erwartungen entsprechen – mehr aber eben auch nicht.

Nun gibt es jedoch gute Gründe anzunehmen, dass gerade das Unerwartete und Überraschende konstitutiv zur Liebe dazugehört. Genau deshalb, so würde ich behaupten, müssen Strategien der Passung, die dieses Unerwartete zu vermeiden suchen, systematisch scheitern.

Das ist eine starke Behauptung, die sich nicht nur gegen aktuelle Matchingstrategien im Netz, sondern auch gegen viele Selbstverständlichkeiten richtet, die heute etwa in Beziehungsratgebern oder Partnerschaftskolumnen verkündet werden. Woher aber kommt diese breite Zustimmung für die Ideologie der Passung?

Meines Erachtens hat sie eng mit dem Bedeutungszuwachs des Wunsches nach Selbstverwirklichung zu tun. Liebe und Partnerschaft gelten seit Anbeginn der modernen Gesellschaft – und ganz besonders nochmals seit den kulturellen Umbrüchen im Gefolge der sogenannten „68er“ – als zentrale Orte der individuellen Selbstverwirklichung. Und genau deshalb wünschen sich so viele eine ‚passende‘ Beziehung, in der die Partnerin möglichst in allen Dimensionen ihrer Persönlichkeit mit der eigenen kompatibel sein soll.

„Man selbst sein im Anderen“

Allerdings basiert diese Vorstellung auf einem sehr spezifischen Verständnis von Selbstverwirklichung, das man nicht teilen muss. Dieses Verständnis begreift Selbstverwirklichung im Kern als ein rein individuelles Projekt. Der oder die Andere spielt dabei nur insofern eine Rolle, als dass sie möglichst gut zu diesem individuellen Projekt passen muss, damit sie mich in meiner eigenen Selbstverwirklichung nicht stört sondern bestenfalls unterstützt.

Dem lässt sich ein Verständnis gegenüberstellen, dass in dem und der Anderen nicht nur eine mögliche Unterstützung, sondern viel tiefgreifender eine unhintergehbare Bedingung der eigenen Selbstverwirklichung sieht. Die Hegelsche Bestimmung der Liebe als ein „man selbst sein im Anderen“ charakterisiert dieses Verständnis sehr treffend. Aber man könnte hier auch mit George Herbert Mead oder anderen Vertreterinnen und Vertretern einer intersubjektiven Theorie des Selbst argumentieren.

Grundlegend für ein solches Verständnis ist – einfach gesagt – die Einsicht, dass ein Subjekt erst durch die Konfrontation mit einem Gegenüber zu dem wird, was es selbst ist. Gerade die intime Begegnung mit einem anderen Menschen in einer Liebesbeziehung bildet für diesen Prozess der Herausbildung und stetigen Umgestaltung des Selbst einen wichtigen Katalysator. Jede dieser intimen Begegnungen verändert unser Selbst, lässt uns neue Seiten an uns entdecken, ermöglicht uns eine andere Sicht auf das, was wir sind.

In der Konsequenz ist die Vorstellung vollkommen absurd, wir hätten so etwas wie ein ‚fertiges‘ Selbst, dass sich dann die ‚passende‘ Beziehung suchen könne, um sich darin zu verwirklichen. Dieses Selbst gibt es nicht, oder zumindest nicht als eine statische Größe. Es bildet und wandelt sich fortlaufendend in den sozialen Beziehungen, in die es eingebunden ist – auch und gerade in Liebesbeziehungen. Wenn es aber dieses Selbst nicht gibt, dann kann es auch kein Suchformular oder keinen Persönlichkeitstest auf einer Online Dating Seite ausfüllen, der dann einen idealen Partner oder eine ideale Partnerin auswerfen würde.

Wo alles zu gut passt, da wird es langweilig. Es fehlt genau das, was unserem modernen Verständnis nach die Liebe so aufregend macht: Die Möglichkeit nämlich, sich in der intensiven Auseinandersetzung mit einem Gegenüber immer auch selbst ein Stück weit neu zu entwerfen. Nicht, dass das Internet dafür keinen Raum bieten würde, im Gegenteil. Aber dieser Raum entsteht eben eher dort, wo nicht durch die Suche nach optimierter Passung bereits im Vorfeld alles Unerwartbare ausgeschlossen wurde.

(Dieser Überlegungen basieren auf einen Vortrag, den ich jüngst auf der Tagung „Paare und Ungleichheit(en) – Eine Verhältnisbestimmung“ am WZB in Berlin gehalten habe.)

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