Tinder

Lange hat sich auf diesem Blog nichts mehr getan, sorry. Die empirische Forschung ist abgeschlossen. Wir sind aber immer noch an dem Thema dran, machen Vorträge, Publikationen, etc. Ich poste in der nächsten Zeit mal ein Update. Heute ein kurzer Kommentar zu Tinder.

Neue Dating Apps

Im Moment tut sich einiges auf dem Online Dating-Markt. Neue Apps machen den klassischen Dating-Portalen Konkurrenz. Ein sehr erfolgreicher Newcomer der letzten Monate ist Tinder.

Die Besonderheit von Tinder liegt vor allem in der Art und Weise, wie hier Kontakte zustande kommen: Die App präsentiert Bilder und Kurzstatements von potentiellen Partnerinnen und Partnern. Mit einer schnellen Touchgeste auf dem Smartphone entscheidet man, ob man prinzipiell Interesse an einer Person hat oder nicht. Erst wenn beide Personen wechselseitig Interesse bekundet haben, kann man Nachrichten austauschen.

Es ist nun offenbar gerade das spielerische Blättern in der vielversprechenden Katalogwelt von Tinder, was für viele den Reiz dieser App ausmacht. Hier werden die Prinzipien des modernen Massenkonsums auf die Sphäre der Intimbeziehungen übertragen. Man hat einen Katalog mit schönen bunten Bildern und wählt daraus aus, was einem gefällt. Wenn das gewählte „Produkt“ die Erwartungen nicht erfüllt, dann gibt man es eben zurück und sucht sich das nächste aus.

Ein Problem dabei ist: Um Zugang zu dieser bunten Bilderwelt zu bekommen, muss man erst einmal selbst ein Teil davon werden. Tinder verlangt, dass man sich selbst ins Schaufenster stellt und von anderen Nutzerinnen und Nutzern in der gleichen Weise bewerten und konsumieren lässt. Das kann dann schon mal zu emotional schmerzhaften Erfahrungen führen.

Tinder als Bewertungsspiel

Generell habe ich allerdings den Eindruck, dass es vielen Nutzerinnen und Nutzern von Tinder gar nicht in erster Linie darum geht, tatsächlich Leute kennenzulernen. Sie nutzen die App eher wie ein Computerspiel und haben vor allem großen Spaß daran, andere Menschen aufgrund von sehr oberflächlichen Kriterien zu beurteilen.

Darin spiegelt sich der Zeitgeist einer allgegenwärtigen Bewertungskultur in unserer Gesellschaft. Wir kennen das aus der Arbeitswelt, wo wir in Beurteilungs-, Zielvereinbarungs- und Feedbackgesprächen permanenten evaluiert werden, oder auch aus dem Studium, wo sich alles um Bewertungen und ECTS-Punkte dreht. Auch in den Medien ist das „Voting“ allgegenwärtig – beispielsweise in Casting-Shows oder beim Dschungelcamp (vgl. die Forschungen von Olivier Voirol zu diesem Thema). Tinder fügt sich nahtlos in diese Reihe ein.

Gerade für jüngere Leute kann es ja durchaus interessant sein, die eigene Wirkung auf andere mal in einem solchen Singlemarkt zu testen. Man sollte nur die Reaktionen, die man dann bekommt, auf keinen Fall mit persönlicher Zuneigung verwechseln, das wäre fatal.

Tinder und die amerikanische Datingkultur

Was man nicht vergessen sollte: Tinder kommt direkt aus der Datingkultur der amerikanischen Hochschulen, wo die App erfunden wurde. In den dortigen Colleges gibt es eine lange Tradition des eher unverbindlichen, spielerischen Datings. Dabei geht es vor allem darum, sich nach einer oft behüteten Kindheit zum ersten Mal sexuell ausprobieren.

Allerdings gehört zu dieser Datingkultur auch, dass alle Beteiligten wissen, dass sich daraus selten langfristige und ernsthafte Liebesbeziehungen ergeben. Man muss also irgendwann den Ausstieg finden, wenn man eine solche langfristige Beziehung anstrebt. In Deutschland ist diese Dating-Kultur noch nicht so verbreitet und deshalb auch nicht das Wissen um die Grenzen und Tücken dieser Art der Beziehungsaufnahme.

Hier noch ein kurzer Bericht im ZDF-Morgenmagazin zu Tinder mit einem (noch kürzeren) Statement von mir.

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